Auf Kosten der Palästinenser

Wie der Jewish National Fund den Negev „entwickelt“


Im Sommer des Jahres 2010, am 27. Juli, berichtete die BBC vom Überfall auf ein palästinensisches Dorf im Negev/Naqab – es handelte sich um Al Arakib. Die israelische Polizei, die Grenzpolizei und Israels Landverwaltung rückten mit 1300 bewaffneten Männern an, bewaffnet mit Bulldozern und schwerer Ausrüstung. Das Dorf Al Arakib wurde völlig zerstört und 300 Menschen, darunter viele Kinder, obdachlos gemacht. Sämtliche Olivenbäume, insgesamt über Tausend, wurden ausgerissen. In einer jahrzehntelangen Geschichte voll Vertreibung, Diskriminierung und Widerstand war dies einer der wenigen Momente, über den die internationale Presse weltweit berichtete.

Am Tag nach der Zerstörung des Dorfes bauten die BewohnerInnen ihre Hütten wieder auf. Aber auch die israelische Polizei und Grenzpolizei kamen zurück und es entwickelte sich ein brutales Hin und Her. Bis Juli 2011 ist Al Arakib 24-mal zerstört worden, jedes Mal bauten die PalästinenserInnen ihre Unterkünfte wieder auf. Das palästinensische Dorf Al Arakib soll einem Wald Platz machen, den der Jewish National Fund (JNF) dort pflanzen will. Die Geschichte von Al Arakib ist mittlerweile ein international bekanntes Beispiel für die Auseinandersetzung der PalästinenserInnen im Negev mit dem israelischen Staat und dem Jewish National Fund.

Historischer Kontext des Konflikts

Die Ursprünge von Al Arakib gehen weit in die osmanische Zeit und vor die Anfänge der zionistischen Bewegung zurück. Die BewohnerInnen, die Al Okbi, lebten als Bauern von den Erträgen ihres Landes, unbehelligt von den Türken und der englischen Mandatsmacht. Eine Studie von Human Rights Watch (HRW) bestätigte vor wenigen Jahren, dass die beduinisch-palästinensische Bevölkerung des Negev vor dem Jahr 1948 eine sesshafte Lebensweise entwickelt hatte. Sie siedelten in Dörfern, bearbeiteten den Boden und verfügten über ein genau bestimmtes traditionelles System von kommunalem und individuellem Landbesitz (vgl. Off the Map: Land and Housing Rights Violation in Israel’s Unrecognized Villages, HRW 2008). Der palästinensische Historiker Salman Abu Sitta bezeichnet das Gebiet um Beer Sheva, wo auch Al Arakib liegt, wegen des weit verbreiteten Getreideanbaus für das 19. Jahrhundert als den Brotkorb Palästinas. Während des Krieges 1948 wurde die übergrosse Mehrheit der PalästinenserInnen aus dem Negev vertrieben, von den ursprünglich 65 000 bis 95 000 BewohnerInnen blieben nur 11 000. Die Negev-PalästinenserInnen wurden, wie die übrigen PalästinenserInnen, unter Militärgerichtsbarkeit gestellt und gezwungen, in einem bestimmten Gebiet (siyag) zu leben, um Platz für jüdische Siedler und militärische Basen zu schaffen.

Pflanzung eines Maulbeerbaums und Aufstellen einer Gedenktafel für die von Israel zerstörten Dörfer, im Clara Zetkin Waldheim in Stuttgart

Der damalige Vorsitzende der Landabteilung des JNF, Yosef Weitz, hatte übrigens dafür plädiert, auch die letzten PalästinenserInnen zu vertreiben, die noch im Negev geblieben waren. Zunächst schien der Staat Israel die Rechte der Al Okbi auf ihr Land anzuerkennen. In Al Arakib befand sich ein Gerichtssitz, bei Gerichts­verhandlung­en wurde die israelische Fahne gehisst und im Jahr 1949 wurde hier für die ersten Knesset-Wahlen ein Wahllokal eingerichtet. Im Jahr 1951 befahl die israelische Armee den BewohnerInnen von Al Arakib Wie der Jewish National Fund den Negev/Naqab „entwickelt“ jedoch die Umsiedlung. Das Land würde für eine Militärübung gebraucht, nach sechs Monaten könnten sie zurückkehren, erklärte man den Al Okbis. Doch der israelische Staat verhindert bis heute mit Polizeigewalt diese Rückkehr. Als Al Okbis in den Jahren 1954 und 1973 versuchten, sich wieder anzusiedeln und ihr Land zu bearbeiten, wurden sie verhaftet.

Landenteignungen mit menschenrechtswidrigen Gesetzen nach 1948

Die PalästinenserInnen im Negev wurden Opfer der israelischen Landgesetze und der Landverwaltung, bei der der Jewish National Fund (JNF) eine wesentliche Rolle spielte. Laut Human Rights Watch war vor allem der im Jahr 1953 erlassene Land Acquisition (Validation of Acts and Compensation) Act entscheidend für die Enteignung der ursprünglichen Negev-BewohnerInnen. Danach konnte der Staat Land für sich registrieren lassen, wenn sich am 1. April 1952 die Eigentümer nicht dort befanden. Damals waren die Negev-PalästinenserInnen bereits zwangsweise in das vom israelischen Staat vorgesehene Gebiet umgesiedelt worden. So wurden weite Bereiche ihrer Ländereien als Staatsland registriert, während viele Eigentümer nicht einmal davon erfuhren.

Mit dem 1965 erlassenen Planning and Building Act wurde ein Gesamtplan für das Gebiet aufgestellt. Der israelische Staat ignorierte damals die Existenz palästinensischer Dörfer und trug diesen Boden einfach als Agrarland ein. Palästinenser, die später wieder versuchten, an ihre ursprünglichen Wohnorte zurückzukehren, erhielten auf dieser gesetzlichen Grundlage keine Baugenehmigung.

Eine weitere Bestimmung des Gesetzes aus dem Jahre 1965 sah ausserdem vor, dass illegal errichtete Häuser nicht an die Wasserversorgung oder das Elektrizitäts- und Telefonnetz angeschlossen werden konnten. Daher fehlt heute einer grossen Zahl palästinensischer Dörfer im Negev diese minimale Grundversorgung. Lediglich den Bewohnern von sechs palästinensischen Dörfern im Negev ist es inzwischen gelungen, die Anerkennung gegen den Staat durchzusetzen. Das Gesetz von 1965 sah ausserdem weitere Landenteignungen für öffentliche Zwecke vor. In Enteignungsverfahren wurde auch der Boden für die Planstadt Rahat konfisziert, in die der israelische Staat die PalästinenserInnen umsiedeln will. Diese Planstädte vegetieren am unteren Ende des Sozialindexes der israelischen Städte und Gemeinden, haben eine extrem hohe Arbeitslosigkeit und eine absolut schlechte Infrastruktur.

Der Verstoss gegen die Menschenrechte in den israelischen Landgesetzen von 1953 und 1965 ist offensichtlich. Die Palästinenser im Negev, die auf der Grundlage des Gesetzes von 1969 Prozesse gegen den israelischen Staat oder den JNF um ihr offiziell nicht eingetragenes Land verloren haben, können sich daher auch eindeutig auf internationales Recht berufen. In der Presseerklärung zur Studie von HRW beschuldigt Joe Stork, Direktor der Organisation für den Nahen Osten, die israelischen Politiker, die Negev-PalästinenserInnen in eine Verlierersituation gedrängt zu haben. Der Staat habe sie gezwungen, ihr Land zu verlassen, und in Hütten bzw. Dörfer ohne Grundversorgung wie Wasser oder Elektrizität zu ziehen. Israel hat Tausende von Häusern der Negev-Beduinen seit den 1970er-Jahren zerstört, allein im Jahr 2007 sind es Hunderte gewesen, stellt Stork fest.

Die Behörden gehen davon aus, dass 45 000 Häuser der Negev-PalästinenserInnen in 39 nicht anerkannten Dörfern illegal gebaut wurden, diese sind damit von Zerstörung bedroht. Dies würde mit der Umsetzung des Baurechts begründet. Die Behörden zerstören zwar systematisch die Häuser von Negev-PalästinenserInnen, würden aber oft illegale jüdische Siedlungen übersehen oder im Nachhinein legalisieren, kritisiert HRW die Praxis. Bei den PalästinenserInnen herrsche dringender Bedarf an angemessenem Wohnraum, doch der Staat baue jüdische Siedlungen, obwohl einige der 100 bestehenden jüdischen Siedlungen halb leer stünden, stellt HRW fest. Theoretisch könne zwar jeder beantragen, dort zu

Zerstörte Bäume beim Beduinendorf Al Arakib. Quelle: Günter Rath, Sommer 2011

wohnen, doch die Komitees, die die BewerberInnen prüften, urteilten auf der Grundlage nicht festgelegter Kriterien und schlössen die PalästinenserInnen systematisch aus.

Human Rights Watch kritisiert die Rolle, die der Jewish National Fund bei der rassistisch bestimmten Zuteilung des Landes spielt. Der Staat und der JNF/ KKL kontrollieren 93 Prozent des Landes* und weisen sie (fast ausschliesslich jüdischen) BenutzerInnen zu. Kein israelisches Gesetz fordere eine faire und gerechte Zuteilung ein, stellt HRW fest. Die Konsequenzen dieser Verhältnisse sind deutlich: Die PalästinenserInnen machen laut der Studie von HRW 25 Prozent der Bevölkerung im nördlichen Negev aus, sie haben jedoch nur 2 Prozent des Bodens zur Verfügung.

Widerstand im Negev

Die Al Okbi, die BewohnerInnen von Al Arakib, gehören zu den Negev-PalästinenserInnen, die nie aufgegeben haben. Sie kämpfen weiter dafür, ihr Land bewohnen und bewirtschaften zu können. Beamte der Barak-Regierung versprachen im Jahr 2001, sich der Sache der Al Okbi anzunehmen. Doch als kurz darauf die Sharon-Regierung an die Macht kam, wurde in einer Nacht- und Nebelaktion eine neue Siedlung namens Givot Bar auf dem Land der Al Okbi gegründet. Bei ihrer Eröffnung war Wohnbauminister Effi Eitan Ehrengast. Einmal mehr ist die neue Siedlung ausschliesslich für jüdische Israelis reserviert, während den Beduinen systematisch Baugenehmigungen verweigert werden. Doch der Widerstand in Al Arakib geht weiter: Nuri Al Okbi stellt schon seit Jahren ein Zelt auf einem Stück Land seiner Vorfahren auf und lebt dort. Regelmässig wird er von der Polizei verhaftet und sein Zelt zerstört, da er Staatsland betreten habe, so die Behörden. Hunderte der Al Turis, Nachbarn der Al Okbis, die auch 1951 vertrieben worden waren, kehrten ebenfalls in organisierter Weise zum Land ihrer Vorfahren bei Al Arakib zurück. Sie bauten ihre Hütten neben dem Friedhof, wo ihre Familienmitglieder seit Hunderten von Jahren begraben lagen – Land, von dem der Staat während der Jahrzehnte, die es in seinem Besitz war, keinen Gebrauch gemacht hatte. Die Al Turis bearbeiteten die Felder, pflanzten Olivenbäume und hauchten wenigstens einem Teil des Landes von Al Arakib wieder Leben ein. Die israelischen Behörden begannen daraufhin, die Kornfelder aus der Luft mit Gift zu besprühen, was im Jahr 2004 vom Obersten Gericht verboten wurde. Daraufhin begann die israelische Landverwaltung, neu keimendes Getreide unterzupflügen. Doch die unerschrockenen Bewohner bearbeiteten weiter ihr Land und säten noch einmal.

Neben Al Arakib sind in den vergangenen Jahren auch andere „nicht anerkannte“ palästinensische Dörfer im Negev geräumt worden, wie Tawil Abu Jarwal und Atir-Umm el-Hieran. Atir-Umm el-Hieran war im Jahr 1956 auf Befehl des israelischen Militärs gegründet worden, nachdem seine Bewohner aus dem Wadi Zaballa vertrieben worden waren. Auf diesem Land steht heute der Kibbuz Shuval. Nach einem Masterplan aus dem Jahr 2002 ist auf dem Land von Atir-Umm el-Hieran ein Kibbuz namens Hiran geplant. Nach Angaben von HRW hat Israel seit dem Jahr 1979 Tausende von palästinensischen Häusern im Negev zerstört. Es sind Hunderte jedes Jahr. Die NGO Adalah, die sich für die Rechte der Palästinenser mit israelischem Pass starkmacht, und inzwischen auch viele andere Initiativen wie Negev Coexistence Forum, The Alternative Information Center, das Komitee gegen Hauszerstörungen, New Profile, Rabbis for Human Rights, Hit’ habrut-Tarabut – Arab-Jewish Movement for Social and Political Change, Yesh Gvul und andere kritisieren diese klare Diskriminierung und die Verdrängungspolitik. Sie fordern den Stopp des Siedlungsprojekts des JNF im Negev.

Neueste Pläne von JNF und israelischer Regierung

In den vergangenen Jahren hat sich der Druck auf die Negev-PalästinenserInnen nochmals erheblich verstärkt. Im Jahr 2005 startete die israelische Regierung mit dem JNF-Israel, dem JNF-USA sowie weiteren zionistischen Organisationen ein sogenanntes „Entwicklungsprogramm“ für den Negev. Erklärtes Ziel ist es, die jüdische Bevölkerungsmehrheit im Negev zu sichern. Ursprünglich sollten 500 000 jüdische Siedler (möglichst von ausserhalb Israels) im Zeitraum von 2005 bis 2010 für den Negev gewonnen werden. Das liess sich nicht verwirklichen, deshalb ist jetzt von 250 000 SiedlerInnen die Rede, die bis zum Jahr 2013 im Negev angesiedelt werden sollen. Im Fall von Al Arakib wird der Jewish National Fund von einem evangelikalen christlichen Sender, God-TV, finanziell unterstützt. Die in London gegründete TV-Station, die seit dem Jahr 2007 von Jerusalem aus sendet, spendete 500 000 US $ für das JNF-Projekt. Der Entwicklungsplan für diese Gegend ist natürlich vor allem auf die Infrastruktur der jüdischen Siedlungen hin ausgerichtet, er sieht zahlreiche neue Siedlungen vor und vernachlässigt die palästinensischen Dörfer völlig. Sofern Entwicklungsmassnahmen für palästinensische Dörfer überhaupt vorgesehen sind, bekommen diese, anders als die jüdischen, keine finanzielle Förderung. Der Grossteil der nicht anerkannten palästinensischen Dörfer soll laut diesem Plan zerstört werden. Dagegen regt sich seit Langem nicht nur im Negev, sondern auch international heftiger Protest. Die israelische Regierung lässt sich jedoch vom Widerstand bislang nicht beeindrucken. Am 11. September 2011, billigte die Netanjahu-Regierung den Prawer Plan für die Umsetzung des Negev-Projekts und konkretisierte die Vertreibungsabsichten. Der Prawer Plan sieht die zwangsweise Umsiedlung von 30 000 Negev-PalästinenserInnen vor, das entspricht fast der Hälfte der palästinensischen Bevölkerung im Negev. Sowohl in der Bundesrepublik als auch in der Schweiz sammelt der Jüdische Nationalfonds Spenden für seine Projekte im Negev. In der Bundesrepublik wird vor allem für den „Wald deutscher Länder“ geworben, der auf dem Land einer im Jahr 1948 vertriebenen palästinensischen Grossfamilie gepflanzt wurde.

Angeblich gehe es bei den Projekten des JNF darum, Flächen „unfruchtbaren Bodens für den Menschen urbar“ zu machen und das ökologische Gleichgewicht in der Region zu sichern (Werbung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft für die Waldprojekte). Schon lange bestreiten AktivistInnen im Negev den sogenannten ökologischen Anspruch des JNF, da dessen Wälder möglichst europäisch aussehen sollen und daher kaum einheimische Arten verwendet werden. Zu den Kritikern gehört die israelisch-palästinensische Umweltorganisation Bustan, die zusammen mit dem Komitee der nicht anerkannten palästinensischen Dörfer im Negev Pflanzungen anlegt mit Bäumen, die dort tatsächlich heimisch sind. Trotz all dieser allgemein bekannten Fakten über die Aktivitäten des Jewish National Fund ist die Auslandsorganisation, der Jüdische Nationalfonds, in der Schweiz ebenso wie in den meisten anderen europäischen Ländern noch als gemeinnützig anerkannt. Die Spenden für den Jüdischen Nationalfonds, die bei zahlreichen oft auch Städten und Gemeinden organisierten Veranstaltungen für die Projekte im Negev gesammelt werden, sind daher von der Steuer absetzbar.

* Der JNF/KKL kontrolliert direkt 13% des Landes; die statatliche, in 1960 gegründete, Israel Land Authority (ILA) kontrollliert etwa 80% des Landes. Zehn von den 22 Sitzen im Aufsichtsrat der ILA wurden dem JNF per Gründungsstatuten zugeteilt. Seit eine Entscheidung des höchsten Gerichts, 2000, soll die ILA Land auch an Nichtjuden verpachten. Das passiert aber selten.